... Das L war am frühen Abend wiedergekommen, diesmal elegant in Bodoni gekleidet. Ausgeschlafen war es, es habe, so sagte es eine wunderbare Nacht im Alten Testament verbracht, sei dadurch freilich auf trübe Gedanken gebracht worden.
"Aber warum?" fragte ich. "Es ist doch ein großartiges Buch voller unglaublicher Geschichten!"
"Ja, schon, aber du sprichst von der Freiheit des Lesers. Es gibt, wenn wir die beängstigende Mehrheit der Nichtleser mal eben außer Acht lassen wollen, zwei Arten von Lesern auf dieser Welt. Die Leser vieler Bücher und die Leser des einen Buches. Das Judentum, das Christentum und der Islam beruhen alle drei auf einem einzigen Buch. Eine Kultur, die auf einem Buch beruht, ist natürlich etwas Großartiges. Wenn dieses Buch allerdings andere Bücher ausschließt, wenn aufgrund dieses einen Buches Menschen, die andere Bücher lesen oder schreiben, verbrannt werden, wie früher bei uns, oder getötet oder mit dem Tode bedroht werden, wie im Augenblick, dann ist es um die Freiheit traurig bestellt. Obwohl es nicht so zu sein bräuchte."
Sein Blick bekam etwas Trauriges. ...
aus "Begegnung mit einem Großbuchstaben" von Cees Nooteboom